Zum ARD-Rührstück „Der Präsident“ oder: Die Bayern kommen uns jetzt moralisch
Keine Woche ohne neuen Bayern-Superlativ. Die Liga vertreibt sich die sportliche Langeweile mit dem Zählen von Xabi Alonsos Ballkontakten und lässt schon mal die Zeituhr ticken bis zur erwartbaren nächsten Rekordmeisterschaft im Februar. Derweil wird Bayern München Berlusconi als Imperium immer ähnlicher, nur ohne Bunga-Bunga, ein Staat im Staate, der seine eigenen Gesetze aufstellt, die Politik – außerhalb der CSU – nach Belieben erpresst, dessen Wirtschaftsführer im Aufsichtsrat die Anstandsregeln schamlos verletzen und der – vom Claqueur Steffen Simon bis zur Maskotte Müller-Hohenstein – einen Großteil des TV-Sports dominiert.
Kaum eine Fußball-Moderation, ob privat oder öffentlich-rechtlich, ohne ein angestrengtes Bayerngesicht – Kahn, Scholl, Helmer, Strunz, Basler. Galt der kecke Mehmet Scholl bislang noch als freundlicher Pointenverteiler, so verspielte er viele Sympathien, als er während der WM in Brasilien seinem Schweizer Leidensgenossen Xherdan Shakiri anempfahl, es ihm gleich zu tun und künftig lieber auf der nobilitierten Münchener Reservebank auszuhalten als in Manchester oder Turin in der Stammformation aufzulaufen. Bei soviel unverschämtem Wohlwollen scheinen denn auch die Tage des aus der Reihe tanzenden Jens Lehmann als Kommentator bei RTL gezählt, nachdem dieser sich beim verlorenen Polen-Match die Majestätsbeleidigung leistete, dem vergötterten Manuel Neuer Nachhilfe beim Rauslaufen zu erteilen.
Doch damit nicht genug: Ausgerechnet „der zynischste Verein Europas“ (Observer) kommt uns nunmehr moralisch daher. So machten sich drei Fanclubs für das Gedenken an den jüdischen Ex-Präsidenten und Pioniergeist Kurt Landauer stark. Den Vereinsbossen, denen ihr denkwürdiger Ahn bislang noch nicht untergekommen war, sollte es recht sein, konnte er doch hier erneut ein Schnäppchen auf einem unverhofftem Terrain landen, diesmal nicht mit einem ablösefreien Juwel von der Konkurrenz, sondern einem Pfund aus der eigenen Geschichte.
Die historische Moralanleihe beim ehrbaren Kurt Landauer ist ein weiterer Eventcoup aus der PR-Abteilung des Bayern-Imperiums, hochprofessionell vermarktet in einem rührseligen Fernsehstreifen mit dem famosen Bierbichler in der Hauptrolle. Unterschlagen wird dabei dessen trauriger Abgang: Landauer, der Fußball-Lizenzbeschaffer bei den amerikanischen Besatzungsbehörden, wurde nach nur vier Jahren Präsidentschaft 1951 abgewählt. Über die Hintergründe und näheren Umstände wird eisern geschwiegen, keine Recherche angestellt. Denn das Happy End der TV-Legendenbildung über den zum „Bayern-Erfinder“ Stilisierten darf nicht getrübt werden.
Wie es dem Verein erst 2013 (!) einfiel, den 1961 in der Versenkung verstorbenen Landauer posthum zum Ehrenvorsitzenden zu küren, macht aus der geschichtslosen Peinlichkeit auch noch einen memorativen Gnadenakt. So musste Vereinsboss Rummenigge dieser Tage zugeben, dass ihm der Name Landauer während seiner zehn Jahre als Spieler des FC Bayern nicht „über den Weg gekommen“ (!) sei. Nunmehr werde im aber die Ehre „zuteil“, wieder zum FC Bayern zu gehören.
Zur Legitimation solcher einst landesüblichen Geschichtsvergessenheit wird der derzeit einsitzende Ex-Präsident eingeblendet, dem wohl unterstellt werden darf, sich in einer präsidialen Linie mit dem Pionier und Opfer Landauer zu sehen. Womit aber haben wir verdient, dass uns ein abgefeimter Ulmer Wurstmilliardär erklären will, woran sich ganze Generationen im Nachkriegsdeutschland schmerzvoll abzuarbeiten hatten: dass die Deutschen erst einmal ihren Wohlstand nähren wollten, bevor sie Zeit für die bitter nötige Aufarbeitung ihrer horriblen Vergangenheit aufbrachten.
So verfolgt der Rekordmeister von der Isar die Öffentlichkeit mit seinem Alleinstellungswahn. Während sich andere Traditionsclubs wie der HSV, Schalke oder Hertha BSC schwer damit taten, ihre Nazivergangenheit nach Jahrzehnten in Buchform dokumentieren zu lassen, versuchen die Bayern mit der verschütt´ gegangenen Geschichte ihres jüdischen Ex-Präsidenten auch noch die moralischen Überflieger gegen den vormals angebräunten Rest der Liga zu spielen. Damit macht sich der nimmersatte Seriensieger auch noch anheischig, ein Schutzdepot bei den Scharfrichtern der Political Correctness zu erschleichen.
Vorsicht also, ihr uneinsichtigen Bayern-Hasser! Wer künftig von euch noch immer die Habgier der Allgewaltigen von der Säbener Straße aufs Korn nehmen sollte, wird sich auf Antisemitismusvorwürfe einzustellen haben. Und wer Mario Götze als kleinen Scheißkerl beschimpft oder beim Verlassen des Spielfeldes Spießrutenlaufen lässt, dem drohen unziemliche Geschichtsvergleiche und Hinweise auf den europäischen Anti-Diskriminierungsparagrafen.